Organisationsethik ist ein verhältnismässig junges Thema der wissenschaftlichen Ethik. Dass nicht nur Menschen, sondern auch Organisationen «handeln» und Verantwortung tragen können, war im ethischen Fachdiskurs zunächst gewöhnungsbedürftig.
Nehmen wir eine Organisation als ganze in den Blick, so ist systemisches Denken gefragt. Interventionen sind erfolgreicher, wenn sie Struktur und Kultur mitdenken, wie z.B. Sonja Hug in Buch «Ethiktransfer in Organisationen» (hg. von Ruth Baumann und Christof Arn) beschreibt.
Während früher v.a. die Stabilität und Kontinuität in Organisationen im Zentrum stand, wird heute viel häufiger Agilität thematisiert. Da sich unsere Welt – verstärkt mit der digitalen Transformation – rasch verändert, wird Trägheit in Organisationen zum Problem. Spannende neue Ansätze werden entwickelt.
Mit diesen schneller werdenden technologischen und sozialen Veränderungen kommen auch fortlaufend neue ethische Fragen auf Unternehmen zu. Spitäler, Heime und Kliniken haben deswegen vor etwa zwei Jahrzehnten angefangen, Ethik-Gremien aufzubauen. Inzwischen tun das auch andere Unternehmen zunehmend, ebenso verschiedene Verbände. Dies ermöglicht ihnen, allgemeines und spezifisches Ethik-Know-How intern aufzubauen: von einer gemeisterten Herausforderung systematisch schon für die nächste zu lernen. Wie Ethik organisational wirksam und dienlich werden kann, dazu habe ich im Rahmen eines vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Projekts geforscht und unter dem Titel Ethiktransfer publiziert. Aufbau und Begleitung oder Leitung von Ethik-Gremien gehören seit 15 Jahren zu meinen Kerntätigkeiten.
Die Vorbildwirkung und damit auch die Frage der Glaubwürdigkeit von Führungspersonen wird oft unterschätzt. «Acts are louder than words» habe ich von meiner Tochter nach Ihrer Rückehr vom Austauschjahr in Amerika gelernt.» Führungskräfte, die in Führungsethik investieren, können viel bewirken.
Heute werden in Form von Berichten, Zielformulierungen, Gesuchsformularen mit immer mehr Details und Anforderungen, Klientendossiers, (vermeintlichen) rechtlichen Absicherungen, Vertragsdetails und Lizenzbedingungen ungleich viel mehr Daten produziert als vor wenigen Jahrzehnten. Der Grossteil davon wird nie von Bedeutung sein, vieles wird nie gelesen. Mit dem Organisationsentwicklungsmodell von Glasl gesprochen: Viele Unternehmen stecken in der Differenzierungsphase fest und schaffen es nicht in die Integrationsphase. Dem kann genau dann geholfen werden, wenn Führungskräfte mutig sind.